Die Eidbrecher

Warum die SBI das Gegenteil von Eidgenössisch ist

Dem deutschen Romantiker Friedrich Schiller verdanken wir bekanntermassen den Schweizer Gründungsmythos. Im Tell lässt er die drei Eidgenossen auf dem Rütli schwören: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.“ Zum Glück für die Schweiz gab es damals noch keine SVP.

Stellen wir uns vor, an Stelle der ehrhaften Urschweizer, die sich gegenseitig auf ihr Wort verlassen konnten, hätte der Vogt, also der SVP-Nationalrat Vogt, gestanden. Mit samt seiner Selbstbestimmungsinitiative (SBI) im Gepäck. Der Eid wäre schlicht nicht zu Stande gekommen! Und mit ihm kein Schweizer Volk. Denn wer würde sich schon auf jemanden verlassen, der sich explizit herausnimmt, dann vielleicht doch nicht zu seinem Wort zu stehen. Schiller hätte umschreiben müssen: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern – freilich ausser in der Not des Widerspruchs mit der Verfassung unserer Stände und der Gefahr schwammig formulierter Volksinitiativen.“

Pacta sunt servanda

Was damals für die Eidgenossen galt, gilt auch heute für die Schweiz in einer globalisierten Welt. „Pacta sunt servanda“ – „Verträge sind einzuhalten“ lautet der Grundsatze der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den Staaten dieser Welt. Er bringt nichts anderes zum Ausdruck als die gegenseitige Verlässlichkeit, auf welcher bereits der Eid im Nationalmythos beruhte. Genau diese Verlässlichkeit schafft Stabilität und Rechtssicherheit in der Welt. Die SBI hingegen atmet den typischen SVP-Geist der Selbstüberschätzung und Abschottung. Sie will der Welt einfach mal den Tarif durchgeben und Landesrecht grundsätzlich über Völkerrecht und damit über all die unzähligen Abkommen stellen, welche die Beziehungen der Schweiz zur Welt regeln. Gerade in Zeiten, in denen die Trumps dieser Welt in der globalen, auf Verträgen aufgebauten Friedens- und Wohlstandsarchitektur wie Elefanten im Porzellanladen umherirren, wäre dies ein völlig falsches Ausrufezeichen.

Recht vor Macht

Für den vernetzten Kleinstaat Schweiz ist es geradezu töricht. Denn insbesondere für Kleinstaaten ist der Grundsatz „Recht vor Macht“ in den internationalen Beziehungen wichtig – sie würden nämlich im Kräftemessen der grossen Wirtschafts- und Militärmächte stets den Kürzeren ziehen. Auf die Exportnation Schweiz, welche 70% ihrer Erträge direkt oder indirekt im Handel erwirtschaftet, trifft dies nochmals in besonderem Maas zu. Rund 600 Verträge wären betroffen, die meisten von ihnen sehr technisch und daher nie durch eine Volksabstimmung legitimiert, wie es die Initiative vorschreiben will.

Undemokratischer Automatismus

Es würde aber auch die Demokratie selbst leiden. Die Initiative verlangt in letzter Konsequenz nämlich einen Kündigungsautomatismus: Künden, ohne dass das Volk dazu Stellung nehmen könnte! Genau diese Möglichkeit besteht nämlich heute. Beispiel Masseneinwanderungsinitiative: das Parlament hat diese widersprüchliche und schludrig formulierte SVP-Initiative so umgesetzt, dass auch anderen Volksentscheiden Rechnung getragen wird, insbesondere den bilateralen Verträgen mit der EU. Nichts und niemand hat die SVP daran gehindert, dagegen ein Referendum zu ergreifen – ausser ihre eigene Angst vor dem Fiasko an der Urne. In einer direkten Demokratie kann das Volk stets das letzte Wort zu den Verträgen verlangen, welche die Schweiz abschliesst. Die Initiative löst daher kein einziges Problem und bringt keine Verbesserung. Sie bringt nur Rechtsunsicherheit und schadet der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit einer international vernetzten Schweiz. Die drei Eidgenossen haben ihr NEIN dazu bereits 1291 eingeworfen.

Autor: Roger Kölbener, Präsident der FDP International